Grosse Politik
Musik war eigentlich immer mein „Leben“. Irgendwann begann ich auch Konzerte von bekannten DDR Gruppen zu besuchen, erst noch sporadisch, dann gezielt und regelmäßig. Da standen die Bürkholz-Formation, die Modern Soul Band, die College Formation, Bayon, Electra, Renft, Kerth und was es da so gab auf dem Programm.
1971 war es, da hörte ich das erste Mal eine Gruppe, die später mein Leben mitbestimmen sollte, die Stern-Combo-Meißen, damals mit Veronika Fischer, es war in Dresden in der Liga.
Ja 1971, da hatte ich noch eine geliehene Gitarre, spielte und sang falsch und laut Bob Dylan, machte erste kleine Mucken mit Bekannten und es waren die ersten Anzeichen eines gesellschaftlichen Aussteigers zu erkennen. 1973 machte ich dann meine Prüfung zum DJ, oder wie es damals hieß, zum Schallplattenunterhalter. Ein Krampf, schon mein Aussehen, die Haare waren schon etwas länger und der Bart auch, dann in der praktischen Prüfung Freejazz von Milian, nach 3 Minuten brach die Kommission das Spektakel ab, nach einer längeren Diskussion durfte ich dann fortführen und es geschah ein kleines Wunder, ich bekam eine Einstufung der Oberstufe, die jedoch nach weiteren Beratungen in Mittelstufe geändert wurde. Ich hatte nun auch eine eigene Gitarre, Gundermann hatte sie mir geschenkt, ich sang und spielte immer noch Dylan, immer noch falsch und laut, der großen Show stand also nichts mehr im Wege.
4 geliehene Tesla Musik 130 Verstärker mit selbstgebauten Boxen und ein selbst konstruiertes Mischpult, welches eine getrennte Ansteuerung der Verstärker ermöglichte und über Phasenschieber eine Art Quadrofonieeffekt erzeugte bildeten die technische Grundlage, eine Mixtur aus Jazzrock, Soul und Klassikadaptionen die musikalische Basis und eine für damalige DDR-Verhältnisse abgefahrene Show den Rahmen. Ein Stab von „Wachen“ sorgte dafür, dass Kontrolleure rechtzeitig erkannt wurden, das Programm wurde dann blitzartig umgestellt. Das Ergebnis waren volle Säle, an Tanzen war da oft nicht zu denken, die Leute standen wie bei Konzerten. Die Anzahl der Auftritte hielt sich trotz vieler Angebote aber in Grenzen, einmal stand die Technik nicht immer zur Verfügung und dann arbeitete ich noch an einem Konzept für das Ganze. Und die Kontakte zu den „richtigen Musikern“ wollten ja auch gepflegt sein.
Mit Datum 3.4.1974 flatterte mir dann ein Brief ins Haus, hier der Wortlaut:
Mit Wirkung des heutigen Tages sprechen wir gegen Sie
unbefristetes Auftrittsverbot
als Schallplattenunterhalter aus.
Wir weisen Sie darauf hin, daß bei Nichtbeachtung dieser Anordnung, gegen Sie entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.
Weiterhin weisen wir an, daß Sie Ihre staatliche Zulassung bis zum 18.4.1974 im Kreiskabinett für Kulturarbeit abzugeben haben.
Masurat
Mitglied des Rates und
Leiter der Abt. Kultur/Erholungswesen
Da hatten wir den Salat! Keine Begründung, kein Widerspruchsrecht, einfach ein Verbot, ein Freund, ich wusste, dass er bei dem Haufen war, erzählte mir dann, dass dieses Verbot auf Grund einer Anordnung der Staatssicherheit erlassen wurde. Gut, ich wusste, dass ich überwacht wurde, wusste auch, dass man eine „staatsfeindliche“ Haltung bei mir vermutete, aber das begriff ich nun damals nicht. Und ehrlich gesagt, ich machte mir auch gar nicht viel Gedanken darüber. Inzwischen war meine Liebe zur klassischen Musik erwacht, die Liebe zur Orgel, und damit auch die Liebe zur Stern Combo Meißen und Ihren Adaptionen.
Ja und ich arbeitete an einem Projekt, ich wollte ein Rockfestival auf die Beine stellen, die besten Bands der DDR sollten dort auftreten. Ende 73 stand dieses Konzept, ich hatte die Zusagen der vorgesehenen Musiker und es gelang mir, das Ganze der FDJ-Stadtleitung in Lauchhammer schmackhaft zu machen. 3 Tage sollte das Spektakel dauern, 10 Gruppen sollten auftreten. Im Genehmigungsverfahren wurde das Ganze dann auf einen Tag gestrichen, ich konnte noch 6 Gruppen unterbringen. Der 21. Juni 1975 sollte der große Tag sein, und innerhalb nicht einmal einer Woche waren die 1.400 Karten im Vorverkauf abgesetzt, es handelte sich dabei um die Kapazität für eine Schlechtwettervariante, wo wir auf 3 Säle hätten ausweichen müssen. In der „heißen“ Phase der Vorbereitung war ich vollständig in den „Untergrund“ abgetaucht, alles lief über die FDJ-Stadtleitung. Und so war alles Bestens und eine Woche vor dem Termin trampte ich nach Mülsen St. Niklas in den Amorsaal um mir Stern Combo reinzuziehen.
Als ich den Saal betrat und zur Bühne ging kam Detlef Seidel schimpfend auf mich zu, Du mit Deiner Scheiße, was sollte den das und .... Ich habe ihn wohl ziemlich verdutzt angeschaut und er sagte mir, das Festival fällt doch aus, verboten. Es war wie ein Schlag mit dem Hammer für mich! Nach meiner Rückkehr nach Lauchhammer konnte ich in der örtlichen Zeitung lesen, dass aufgrund von Nichtgewährleistung der Versorgung der erwarteten 20.000 Gäste das Festival Musik unserer Zeit leider ausfallen müsse. Ein paar Informationen aus dem Untergrund hatte ich zwar noch zu den Gründen bekommen, aber es war so wenig, dass ich es nicht verstand.
Und damit könnte eigentlich Schluss sein, aber als Überschrift stand große Politik.
Am 01.08.2004 besuchte ich ein Konzert von Stern Combo Meißen in Rothenburg Oberlausitz. Ich kannte die Geschichten vom Sachsendreier als Programm und hatte mich in der Lesung des kleinen Auszuges über das Staasiprotokoll schon wieder erkannt, nun kaufte ich mir das Buch. Auf der Heimfahrt blätterte ich dann schon einmal so durch, las hier und da, und kam auch an die Gesamtfassung dieses Dossier vom 23.07.1975, welches teilweise ja große Auswirkungen auf die Entwicklung der Rockmusik in der DDR hatte. Und auf einmal standen mir Tränen in den Augen, ich konnte es nicht zurück halten. Was las ich da:
„Für den 21.6.1975 wird auf der Freilichtbühne „Volkspark“ Lauchhammer-West/Senftenberg/Cottbus ein „erstes Festival – Musik unserer Zeit“ geplant. An diesem Festival sollen 6 bekannte Beat-Formationen teilnehmen (Stern Combo Meißen, Klosterbrüder Magdeburg, Kreis Berlin, Ensemble Jürgen Kerth Erfurt, GRH-Projekt Leipzig, College-Formation Berlin).
Dieses Festival war ursprünglich mit 10 Beat-Kapellen aus allen Teilen der Republik für die Zeitdauer von 7 Tagen geplant. Als Veranstalter trat nach außen hin das FDJ-Stadtsekretariat der Stadt Lauchhammer in Erscheinung. Hauptorganisator war jedoch eine dem MfS namentlich bekannte Person, ein asoziales Element, welches auf Beschluss der Stadtparteileitung Verbot für die Ausübung von Funktionen auf dem Gebiet der Kultur erhalten hatte. Diese Person hatte entsprechende Verträge mit den Beat-Kapellen abgeschlossen, mit denen sie durch eine frühere Tätigkeit als Disko-Sprecher bekannt ist. Dem MfS wurde bekannt, das mehrere Hundert Jugendliche – darunter eine Reihe asozialer Jugendlicher – nach Lauchhammer reisen bzw. trampen wollten. In Abstimmung mit den örtlichen Organen wurde dieses Beat-Festival rechtzeitig verhindert.“
Nach 30 Jahren habe ich nun einen Teil der Wahrheit über damals erfahren. Ich hatte mich irgendwann, Auslöser war der Einsatz von Herrn Schmidt, ach ja der Künstlername muss hier wohl genannt werden, von „IC Falkenberg“, als Frontmann bei dann Stern Meißen, von dem ganzen Zeugs getrennt, ich wollte nichts mehr davon wissen. Na so wie Sandkaulen, aber aus anderen Motiven. Gut, ich besuche in letzter Zeit immer einmal wieder ein Konzert der Stern Combo, auch mit meinem 11-jährigem Sohn, aber das geschieht aus einer tiefen Verbundenheit zu Reinhard Fißler, der mir in meinem Leben mit seiner Kunst so viel gegeben hat. Vielleicht kann ich ihm heute ein ganz klein Wenig davon zurück geben und sei es nur mit der von mir immer mitgebrachten obligatorischen Flasche Rotwein. Und aus Dankbarkeit an die alten Herren, die mit ihrer Musik damals mein Leben so tief geprägt haben. Nun erfahre ich, dass ich damals ein klein wenig „große Politik“ mitbestimmt habe, wenn auch nur als dem MfS namentlich bekannte Person, als asoziales Element. Da kommt Neugier auf, ich kämpfe mit mir. Der Schlussstrich beinhaltete auch, ich wollte nicht wissen, was gelaufen ist. Bis heute habe ich mich immer wieder gewehrt, meine Akte der Staatssicherheit einzusehen. Und nun kommt Neugier, was war da noch, was steuerte damals mein verdammtes Leben. Und auch Angst, wer außer den mir bekannten Leuten hatte daran einen Anteil, vielleicht auch Musiker von damals, angebliche Freunde? Die Entscheidung fällt mir sehr schwer, das Ergebnis ist noch nicht abzusehen! Aber vielleicht entsteht irgendwann auf den Chaos-Müllers auch eine Rubrik über diese Akten, wer weiß?!
Nachtrag:
Ich habe sofort Jürgen Balitzki angeschrieben, habe ihn gebeten mir eine Kopie dieses Staasiberichtes zu schicken. Nach 2 Tagen hatte ich keine Antwort, ich war ungeduldig, ich habe Werther Lohse gebeten mir zu helfen. Und ich habe dann Jürgens Telefonnummer gefunden und mit ihm geredet. Er hatte die Mail gelöscht, unbekannter Absender, wahrscheinlich Werbung, verständlich. Jürgen war mir als ganz lieber Mensch geschildert wurden, am Telefon hatte ich nun den gleichen Eindruck, ganz ehrlich gemeint! Es gibt in dieser Gesellschaft nur sehr wenige "liebe Menschen"! Nun ist es am Laufen! Mal sehen was rauskommt.